Stephanie Hüllmann - Die Ästhetik des Wandels
Stephanie Hüllmann macht mit ihren faszinierenden Assemblagen den Wandel der Dinge sichtbar. Unscheinbare Materialien, die wir im Alltag meist übersehen, verwandelt sie in eindrucksvolle Kunstwerke.
In Ihrer Kunst verwenden Sie abgenutzte Gegenstände oder die „Abfallprodukte“ der Natur und fügen sie zu wunderschönen, aufwendigen Assemblagen zusammen. Ein großes künstlerisches Thema von Ihnen ist dabei der Wandel. Was fasziniert Sie am Wandel, an der ewigen Veränderung?
Nichts, wirklich gar nichts bleibt gleich. Alles verändert sich. Immer. Das ist nichts Neues, unter anderem ist dies auch einer der Grundsätze des Buddhismus. Was mich aber erstaunt, ist, wie wir Menschen es immer wieder schaffen, dieses immerwährende und überall gegenwärtige Prinzip zu verdrängen. Es ist selten, dass wir Wandel annehmen oder gar als selbstverständlich behandeln. So normal wie das Atmen sollte es doch eigentlich für uns sein. Aber häufig scheint fast das Gegenteil der Fall zu sein: Wir versuchen den Wandel zu ignorieren und zu verdrängen, wir versuchen das Jetzt anzuhalten, wir klammern an Vielem fest. Wenn man genau darüber nachdenkt, dann ist das so dermaßen absurd und unnatürlich, dass es einen geradezu faszinieren MUSS. Ich versuche mit meinen Arbeiten den Wandel sichtbar zu machen. Mein Mittel dafür ist, den Blick auf Details zu lenken. Der Wandel macht sich lange, bevor wir ihn wahrhaben wollen, in kleinsten Details sichtbar, die wir aber so gern übersehen. Dann, wenn der Prozess weit fortgeschritten ist und wir ihn nicht mehr übersehen können, erstaunt oder erschreckt er uns. Zumeist nähe ich die einzelnen Teile auf, oft auch hundert- oder tausendfach, denn nur so wird der Faktor Zeit sichtbar, der mit dem Thema Wandel einher geht.
Sie bezeichnen sich selbst als Sucherin und Sammlerin und wollen in Ihrer Kunst “Normales und Übersehenes in den Mittelpunkt” stellen. Was haben Sie in letzter Zeit gefunden, dass Sie besonders fasziniert hat?
Mich haben in diesem Jahr 2021 vor allem die Blütenkapseln der Kletterhortensie fasziniert. Diese winzig kleinen Kapseln schützen die empfindlichen Knospen und werden von der Pflanze abgestoßen, direkt bevor sie ihre Blüten entblättert. Dann liegen diese winzig kleinen, empfindlichen Kapseln zu zig-tausenden auf dem Boden. Das an sich ist noch nicht das Besondere. Besonders für mich war der Umstand, dass ich selbst solch eine Pflanze in meinem Garten habe. Ich sitze das ganze Jahr über morgens draußen, plane meinen Tag, denke nach, all das direkt vor dieser Pflanze. Aber erst in diesem Jahr nehme ich diese Kapseln bewusst wahr, die in dieser so großen Zahl zu meinen Füßen liegen! Wie kann das sein!? Immer wenn ich meine Arbeiten mit diesen Blütenkapseln sehe, dann frage ich mich, was ich sonst noch so alles übersehe, was doch eigentlich gar nicht übersehen werden kann.
Hatten Sie schon immer diese Liebe für Details und kleine Dinge, oder wie lernt man das Übersehene zu sehen und seinen Wert zu erfahren?
Ich glaube, dass eine gewisse Veranlagung schon immer da gewesen ist. Ich habe Erinnerungen an meine Kindheit, in denen ich mich endlos lange mit Blüten, Zapfen und Steinen beschäftigt habe und mit deren Formen und Farben. Aber später waren dann für lange Zeit andere Dinge wichtiger. Für mich wurde dieses Interesse wieder geweckt, als ich über längere Zeit in Ländern war, in denen Vieles sehr anders war als ich es kannte. So wurde mein Blick fast zwangsläufig auf das für mich Neue gezogen und ich glaube, das ist ein ganz normaler Prozess. Wieder zurück in Deutschland, fing ich dann an zu vergleichen und im Altbekannten viel Neues zu entdecken. Ich glaube, eine gewisse Veranlagung zu Neugierde hat hier aber auch seinen Teil dazu beigetragen und mit der Zeit wurde es immer „schlimmer“. Ich glaube zum Beispiel, dass Spaziergänge mit mir zusammen keine Freude sind, denn ich muss ständig stehenbleiben…
Ich bin außerdem zutiefst davon überzeugt, dass die Umwelt-Misere, in der wir uns befinden, daher stammt, dass wir so Vieles übersehen. Man kann nur das wertschätzen, was man überhaupt kennt. Und nur das, was man schätzt oder liebt, ist es einem auch Wert, zu schützen. Eine Gesellschaft, die Automarken besser kennt als ihre Pflanzen oder Insekten, legt logischerweise nicht so viel Wert auf letzteres.
“Ich habe in Japan das wirkliche Sehen gelernt”
Viele Ihrer Werke sind kreisförmig angeordnet. Welche Bedeutung hat der Kreis für Sie?
Der Kreis ist so wunderbar, finde ich. Er steht für das Immerwährende. Kein Anfang, kein Ende. In so vielen Kulturen spielt er eine wichtige Rolle. Mandalas. Schmuck. Und ich finde ihn schlichtweg einfach schön. Es macht mir Spaß, mit ihm zu spielen, ihn zu gestalten und mich auf die Wirkung zu freuen. Er hat etwas Archaisches und spricht uns auf tieferer Ebene an, nicht nur den Intellekt. Und nicht zuletzt steht er für die Keimzelle, ist Symbol allen Lebens. Ich platziere ihn allerdings gern häufig nicht mittig auf der Leinwand oder dem Papier, sondern etwas aus der Mitte verrückt. Zu viel ist heute ver-rückt…
Sie haben in Ihrem Leben schon viele Länder bereist und an verschiedensten Orten der Welt gelebt. Welche Orte haben Sie dabei am meisten inspiriert?
Sicherlich ist es Japan, das mich tief beeinflusst hat. Japan ist für uns Europäer:innen so dermaßen anders, dass ich es mir erarbeiten musste. Und meist ist es doch so, dass die Dinge, in die man sich hineinkniet, einem sehr nah ans Herz wachsen. Ich habe so Vieles nicht verstanden in Japan. Über die Versuche, das Fremde zu verstehen, habe ich dann auch meine eigene Kultur reflektieren müssen und vieles ist mir bewusst geworden. Das hat mich auf verschiedenen Ebenen inspiriert. Außerdem hat Japan mir die Wasser-Welt ganz nah gebracht. Als Inselstaat ist in Japan das Meer nie weit weg und ich habe es ganz neu und ganz nah erlebt. Ich gehe soweit, dass ich in Japan letztendlich das wirkliche Sehen gelernt habe.
Inzwischen leben Sie vor der Toren Hamburgs. Inwiefern hat Ihr neues Zuhause Ihre Kunst beeinflusst? Hilft ihnen eine ländliche Umgebung beim fokussierten Arbeiten, oder fehlen die tausend Inspirationen einer schillernden Metropole wie Tokyo, in der Sie früher gelebt haben?
Ah, diese Frage ist schwierig zu beantworten! Ganz ehrlich – ich weiß es selbst nicht. An manchen Tagen bin ich sehr froh, dass ich die Natur so nah habe. Sie gibt mir täglich Inspiration und stärkt mich. Schon allein weil es hier Seen gibt und mir das Schwimmen so wichtig ist. Im Moment entdecke ich gerade das Winterschwimmen, ein echtes Abenteuer, das es so nur in der freien Natur geben kann. Aber dann, an anderen Tagen vermisse ich die Reibungen, die große Städte mit sich bringen. Und den schnelleren Austausch mit oder spontane Anregungen von Menschen. Zum Glück ist Hamburg nah und auch Berlin ist nicht so weit weg. So oft, wenn ich dort bin, überlege ich, ob ich falsch entschieden habe, aufs Land zu ziehen. Wenn ich dann aber wieder nach Hause kommen, dann fühle ich, dass es doch das Richtige war. Aber es gibt noch einen Punkt für die ländliche Umgebung: Ich liebe es, Platz zu haben. Zum Leben, Wohnen, Arbeiten. Und dieser Platz ist auf dem Land nun mal einfacher zu haben als in der Stadt.
Wann und wo können wir Ihre Werke als nächstes bewundern?
Im August 2022 darf ich in einer wunderschönen und sehr besonderen Location Arbeiten zeigen: in den Beelitz Heilstätten, dieser sehr berühmte „Lost Place“ in der Nähe von Berlin. Daran schließen sich zwei Solo-Ausstellungen an: in der Villa Blunk in Wriezen, auch bei Berlin, und in Hooksiel im hohen Norden. Und ansonsten gerne auch nach Vereinbarung bei mir, in meinem privaten Showroom.
Vielen Dank für das Interview, vielen Dank für diese tollen Fragen!
Stephanie Hüllmann hat schon viele Länder bereist und an verschiedensten Orten der Welt gelebt. Dieses tiefe Eintauchen in andere Kulturen hat ihren Blick auf Details und die Natur gelenkt. Die norddeutsche Akademikerin sagt über sich selbst: “In der Kunst bin ich Autodidaktin”.
Web: https://stephanie-huellmann.com/
Instagram: https://www.instagram.com/stephaniehuellmann/

Astounding and incredibly beautiful work Stephanie.
Wirklich tolle Kunstwerke! Mal was anderes Sehr inspirierend.
Mittlerweile haben wir eine kleine Sammlung von Kunstwerken, die stetig wächst.
Hat jemand eine Empfehlung für eine Kunstversicherung?