Jan Olschewski - Meine Kunst feiert die Fliege
Jan Olschewski findet, dass der Fliege zu Unrecht ein schlechter Ruf anhaftet und will mit seiner Kunst ein Bewusstsein für die Insektenwelt und insbesondere die Fliege schaffen. Was es mit “Transmutations” auf sich hat und warum man in Berlin seinen Fliegen über den Weg laufen könnte, erzählt er im Interview.
In Ihrer Kunst befassen Sie sich derzeit intensiv mit der Schnittmenge von Kunst und Insekten und speziell mit der Beziehung von Mensch und Fliege. In welcher Beziehung stehen Mensch und Fliege denn und wo setzen Sie da mit Ihrer Kunst an?
Die Beziehung von uns Menschen und der Welt der Fliegen – ich beziehe mich hier im Besonderen auf die Unterordnung der „Brachycera“, die neben den „Nematocera“ bzw. Mücken die Ordnung der „Diptera“ bzw. Zweiflügler bilden – ist überwiegend von Missachtung und Abscheu geprägt. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Kultur- und Kunstgeschichte ein Spiegelbild dafür ist, wie wir Menschen denken, fühlen und handeln, so lässt sich die schlechte Lobby der Fliegen hier sehr deutlich ablesen. Überall in unserer Kunst- und Kulturgeschichte gibt es Quellen und Hinweise darauf, was wir Menschen von den Fliegen halten und welchen Stellenwert sie für uns haben. Hier ein paar Beispiele:
Im antiken Griechenland gab es den Gott Myiagros, der die Aufgabe hatte Fliegen zu vertreiben. Interessanter Nebenaspekt: Erfolgreich schien er nicht gewesen zu sein, denn diese Aufgabe wurde schließlich dem Chef selbst, Zeus, übertragen. Ob dieser erfolgreicher war? Wer weiß. Bei meinem letzten Familienurlaub in Griechenland hat es jedenfalls nicht an Fliegen und Mücken gemangelt.
In der christlichen Kunst des Mittelalters und der Renaissance musste die Fliege als Sinnbild für Sterblichkeit, Sünde und Korruption herhalten. Das Wort Beelzebub übrigens soll das Auftreten des christlichen Teufels in Gestalt einer Fliege beschreiben. Gewissermaßen das manifestierte Böse und die Fliege in Personalunion.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer schrieb (1851) in seinem Buch Parerga und Paralipomena: „Zum Symbol der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit sollte man die Fliege nehmen. Denn während alle Thiere den Menschen über Alles scheuen und schon von ferne vor ihm fliehen, setzt sie sich ihm auf die Nase.“
Der Film Kurt Neumanns „The Fly“ aus den 50ern gefolgt von zwei Fortsetzungen und einem Remake von David Cronenberg 1986, sind bestimmt einigen ein Begriff. Die Fliege als Protagonistin im Science-Fiction-Horror-Genre. Wo sonst!
Damian Hirst nimmt in seinen umstrittenen Kunstinstallationen „A Hundred Years“ und „A Thousand Years“ den Tod der hauptdarstellenden Fliegen in Kauf.
Und so ließen sich noch viele solcher Beispiele nennen.
Mit meiner Kunst möchte ich genau hier ansetzen und gewissermaßen eine Gegenposition einnehmen. Bei mir ist die Fliege kein Sinnbild für etwas Schlechtes oder wird als abstraktes „Objekt“ benutzt. Meine Kunst soll die Fliege selbst in den Mittelpunkt stellen und sie als faszinierendes Mitlebewesen darstellen. Meine Kunst möchte die Fliege feiern!
“Indem ich Insekten eine künstlerische Bühne biete, nehmen wir sie in einem positiven Kontext wahr. So kann eine neue Wertschätzung entstehen.”
Ein großes Ihrer Themen ist der Insektenschutz. Inwiefern kann Kunst etwas dazu beitragen? Passen Naturschutz und Kunst überhaupt zusammen?
Die Beziehung von Kunst und Naturschutz liegt meiner Ansicht nach auf einer ganz speziellen Ebene, nämlich auf der Medialen. Lassen wir die hin und wieder aufkommenden Diskurse von Kunstbetrieb und ökologischem Fußabdruck mal beiseite, so besitzt die Kunst eine ganz besondere „Macht“. Sie kann etwas darstellen, dem:der Betrachter:in etwas vermitteln bzw. Fragen aufwerfen, ein Bewusstsein schaffen. Und das auch für Fragen des Naturschutzes. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles was wir sehen eine Spur in uns hinterlässt und wenn es unterbewusst ist. Was wir sehen und womit wir uns umgeben wird auf uns wechselwirken und uns irgendwie prägen. Genau dies ist dann auch der Ansatz meiner Kunst und das, was meine Kunst zum Insektenschutz beitragen kann. Nur kurz mal nebenbei, gibt man „Insektenschutz“ in eine der großen Suchmaschinen ein, sind die ersten Seiten der Suche dominiert von Unternehmen und Produkten, die nicht den Schutz der Insekten zum Ziel haben, sondern ihre Vernichtung und Abwehr. Aber zurück. Meine Kunst soll unsere sechsbeinigen Freunde, und vor allem die „Underdogs“ unter ihnen, wie z.B. die Fliegen, in unser Bewusstsein bringen, ihnen eine künstlerische Bühne bieten. Nehmen wir sie dann in einem positiven Kontext wahr und sind wir uns ihnen bewusst, kann eine neue Wertschätzung entstehen. Fliegen sind nämlich faszinierende und für uns Menschen auch wichtige Mitlebewesen. Es gibt zahlreiche Studien, die nicht nur belegen, dass unsere Insektenwelt, und somit auch die Fliegen, durch menschliche Umweltzerstörung, Pestizide und Klimawandel bedroht sind, sondern auch entscheidende Highperformer im Bestäubungsbusiness sind. Somit sind Fliegen essenziell wichtig auch für die menschliche Nahrungsmittelversorgung. Sie gehören also wertgeschätzt und be- und geachtet. Wessen wir uns bewusst sind, werden wir achten und auch schützen. Das ist, was Kunst, was meine Kunst zum Insektenschutz beitragen kann.
Woher kommt Ihr persönliches Interesse am Thema Insekten und wann haben Sie beschlossen, sich diesem Thema künstlerlisch anzunehmen?
Um diese Frage zu beantworten muss ich tatsächlich in meine Kindheit und Jugend zurückgehen. Es gab zwei Menschen, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass ich auf das Insekt gekommen bin.
Da ist zum einen mein geliebter und verehrter Großvater. Er war ein naturverbundener und wortkarger Ostpreuße, mit dem ich viel Zeit in seinem Selbstversorgergarten verbracht habe. Eines Tages, ich muss so 9 Jahre alt gewesen sein, half ich ihm beim Einsammeln von Kartoffelkäfern. Dann nahm er ein besonders großes Exemplar in seine Hand, zeigte es mir und sagte: “Junge, nur weil wir Menschen etwas zu einem Schädling machen, heißt das noch lange nicht, dass dieses Wesen keine Daseinsberechtigung hat.” Dies hat sich mir nachhaltig ins Gedächtnis gebrannt.
Zum anderen war da meine umtriebige Biologielehrerin im Bioleistungskurs im Gymnasium. Im wahrsten Sinne eine Naturgewalt, die mit uns, wann immer es möglich war, in die Natur gegangen ist. Pflanzen und Bäume bestimmen, Flechten kartieren und eben auch Insekten aufspüren und sie in das jeweilige ökologische Umfeld einordnen. Da entstand ein Erkenntnismoment nach dem anderen.
Dieses Interesse habe ich dann immer weiter verfolgt und im Laufe der Zeit mit Wissen aus Büchern und Vorträgen vertieft.
Neben der Natur bzw. den Insekten, begeisterten und begeistert mich bis heute die Kunst. Und so war es eine logische Konsequenz diese beiden Interessen miteinander zu verbinden. Die Inspiration dafür kam aus einer ganz bestimmten Richtung. Ich wage einmal zu behaupten, dass jede:r, die:der sich mit den Schnittmengen von Natur und Kunst auseinandersetzt, irgendwann bei Alexander von Humboldt landen muss. Sein damals revolutionärer Ansatz, dass „Fantasie und Vernunft“, also Kunst und Wissenschaft, im Zusammenwirken eine besondere Erkenntnis hervorbringen kann, hat mich und meine Intention bzw. Ansatz besonders geprägt. So wurden Insekten vor etwa 5 Jahren zu einem Hauptthema meines künstlerischen Schaffens.
“Meine Kunst ist in gewisser Weise eine kreative Evolution der Arten”
Sie schreiben Ihrer Website, dass “Transmutations” der Oberbegriff und Leitgedanke Ihrer Kunst sei. Können Sie uns erklären was es damit auf sich hat?
Auch dieser Begriff geht auf eine historische Person zurück. Ebenso wie ich im Kontext meiner Interessen und deren Schnittmengen auf Humboldt stieß, habe ich mich natürlich auch mit Charles Darwin beschäftigt. In seinem „Notebook B, Transmutation of species“, formuliert er erstmals den Gedanken, dass Arten möglicherweise eine Entwicklung durchlaufen. Dafür nutzte er eben diesen Begriff „Transmutation“. Der Begriff Evolution kam erst später auf.
Transmutation steht also im darwinschen Sinne für die Veränderung und Weiterentwicklung von Arten. Dies habe ich auf meinen künstlerischen Ansatz übertragen. Meine Kunst variiert und verändert Arten, nur eben in einem kreativen Kontext. Somit ist meine Kunst in gewisser Weise eine kreative Evolution der Arten und im Speziellen aktuell von Fliegen. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass sie eine echte Evolution bzw. Transmutation ist, denn die Menschheit bzw. der Homo Sapiens ist ja genau wie die Fliege Bestandteil der Welt und Natur und somit auch Facette einer evolutionären Kraft. Die Kunst / der:die Künstler:in als Evolutionswerkzeug. Oder etwas plakativer ausgedrückt: Die Evolution bzw. Transmutation der Fliege auf der menschlichen Leinwand. Und dies wirkt rück auf die menschliche Weiterentwicklung, denn aus meiner Kunst kann ein neues Bewusstsein, eine neue Erkenntnis (Fliegen sind faszinierend und schützenswert) entstehen. So würde auch der Mensch sich weiterentwickeln und ein kleines Stück transmutieren.
Welche Materialen und Farben verwenden Sie für Ihre Bilder?
Allgemein würde man bei mir sicherlich von Mixed Media sprechen. Ich verwende verschiedenste Materialien und Medien auch Schablonen. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch einige Konstante beobachten. Die Arbeit mit Ölfarben zum Beispiel, denn sie ist so vielseitig. Durch die Möglichkeiten an Vermischungen und Schichtüberlagerungen lassen sich faszinierende Effekte erzielen. Beispielsweise ist die teilweise Transparenz von Insektenflügeln mit Ölfarben sehr gut nachzuahmen. Auch wenn ich viel Übung und Versuche gebraucht habe, bis ich raus hatte, wie dünne Schichten, Flächenverläufe und Lichtreflexe zu gestalten sind, damit es funktioniert.
Eine weitere Konstante sind meine Trägermedien. Ich mache meine Kunst sehr gerne auf festem Untergrund, z.B. auf Holz- oder Aluplatten. In letzter Zeit kommt noch etwas Interessantes dazu. Blattgold. Die Farbe Gold beschäftigt mich schon eine Weile und nach einigen Versuchen mit Lacken habe ich mich an das echte „Zeug“ rangetraut. Auch hier ist Übung notwendig, wie ich schnell erfahren musste. Aber nach und nach wurde ich versierter und in meiner aktuellen Serie „Sancta Musca, die heilige Fliege“ kommt Blattgold als wichtiges Element neben Ölfarben und Lacken zum Einsatz.
Haben Sie schon Pläne für Ihre nächste Serie? Soll sie sich wieder um ein spezielles Insekt drehen?
Wie bei der vorherigen Frage angedeutet, entsteht aktuell eine Serie, die sich erneut um die Fliege dreht. Diese Serie heißt „Sancta Musca, die heilige Fliege“ und sie ist inspiriert von dem Kunsthistoriker Peter Geimer, der in einem seiner Bücher feststellt, dass Fliegen durchaus bemerkenswert regelmäßig in christlichen Heiligendarstellungen bzw. christlicher Kunst des Mittelalters und der Renaissance vorkommen aber selbst nie einen Heiligenschein abbekommen haben. Dies wäre wohl auch ein Sakrileg gewesen, so Geimer. Also wurde es Zeit für die erste heilige Fliege der Kunstgeschichte – das wage ich hier zu behaupten – auf welche eine Serie folgt, die aktuell entsteht.
Darüber hinaus habe ich bis jetzt keine konkreten Pläne aber natürlich Ideen. Der Kartoffelkäfer steht noch auf der Langzeitagenda und auch wenn sie keine Insekten sind aber Würmer würden mich auch mal reizen, nachdem ich vor einigen Jahren bereits mal einen Regenwurm gemalt habe. Wir werden sehen. Jetzt sind erstmal die Fliegen dran.
Wann und wo können wir Ihre Werke als nächstes bewundern?
Wer sich für die Fliegenkunst interessiert, findet immer die aktuellen Arbeiten auf meiner Homepage und hier kann natürlich auch mein Newsletter abonniert werden. Damit bleibst du immer auf dem Laufenden in der Fliegenwelt. Für den Sommer laufen gerade die ersten Planungen an für die nächste Ausstellung. Infos dazu folgen dann zur gegebenen Zeit auch über meine Homepage.
Ansonsten gibt es noch ein kleines Lieblingsprojekt von mir, welches quasi seit 3 Jahren konstant mitläuft. Die „GuerillaGalleryBerlin“. Dabei lass ich digitale Arbeiten von Fliegen auf Aluplatte drucken, bearbeite diese dann händisch z.B. mit wasserfesten Stiften nach und rahme sie. Diese klebe ich dann mit einem stabilen aber vollständig entfernbaren Spezialklebeband an öffentliche Orte im berliner Südwesten. Die Fliegenkunst als Streetart. Diese Bilder können betrachtet, bemerkt aber auch jederzeit mitgenommen werden, da sie sich wie geschrieben mit einem kleinen Rück abnehmen lassen. Und da sie auch nach gewisser Zeit verschwinden, möchte ich mir einbilden, dass das ein und andere den Weg in ein neues Zuhause gefunden hat. Also, Berliner Südwessis, Augen auf… Auch das soll die Fliege präsenter machen in unserem menschlichen Bewusstseinsfeld.
Der Musiker, Maler, Pädagoge und Insektenfürsprecher Jan Olschewski fand schon als Jugendlicher zur Malerei und brachte sich verschiedenste Techniken selber bei. 2020 wurde Jan Olschewski Schulleiter der Musik- und Kunstschule Clara Schumann Brandenburg und begleitet seit 2021 junge Künstler auf ihrem Weg zur Bühne.
