Miriam Loellmann - Wenn Worte fehlen, ist Gegenwärtigkeit da
Miriam Loellmann hat in Rio de Janeiro einen Ort gefunden, an dem sie sich frei entfalten und entwickeln kann. Warum sie ihre Kunst in ihrem Wohnraum ausstellt und nicht über eine Galerie anbietet und wie sie die Betrachter ihrer Kunst in einen Zustand des Staunens und der Gegenwärtigkeit bringen will, erzählt sie im Interview.
Sie sind als junge deutsche Künstlerin Ende 2013 – sechs Monate nach Ihrem Kunststudium in Berlin – nach Rio gezogen, um dort von Null anzufangen mit der Vision sich voll und ganz der Kunst und Ihrer künstlerischen Gabe zu widmen. Haben Sie diesen Schritt je bereut und wie hat das Ihr Leben verändert?
Es gab keinen einzigen Tag hier in Rio, an dem ich meine Entscheidung, die ich damals sehr intuitiv und dennoch absolut entschlossen getroffen habe, bereute, obwohl ich durch sehr viele Schwierigkeiten und Herausforderungen gegangen bin. Ich sage immer, es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Was sich hier ganz klar verändert hat ist, dass ich, als ich in Rio ankam mir selbst begegnet bin und selbstverantwortlich für mich war, bzw. sein musste. Ich kannte kein Mensch und hatte anfangs niemanden, den ich fragen konnte und das hat mein Leben sehr verändert, weil mich das ganz anders auf meine Beine gestellt hat und ich schnell gelernt habe, noch stärker auf meine Intuition zu hören, denn sie war das einzige, was ich hatte und dem ich vertraute.
“Indem ich meinen Wohnraum als Schauraum für meine Kunst verwende, bekommen die Besucher einen sehr intimen und ehrlichen Einblick in mein Werk und was da dahinter steht und mit hinein fließt”
Seit vergangenem Jahr benutzen Sie Ihren Wohnraum als Schauraum Ihrer wunderschönen Kunstwerke, der für Kunstliebende auf Anfrage zugänglich ist. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen und wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Ich habe immer davon geträumt einen eigenen Raum zu haben, wo ich Dinge ausprobieren kann, Arbeiten hängen kann, experimentieren kann, mich entfalten und lernen kann, wo Menschen mein Werk entdecken und besichtigen können und schaute in Rio auch immer umher, wenn ich in den Straßen lief, ob ich irgendetwas interessantes sah, ein Schaufenster oder irgendetwas in der Art, aber irgendwie konnte ich nie etwas passendes finden und dazu kam die finanzielle Schwierigkeit so etwas in Rio zu finanzieren und auch der Gedanke, dass es in der Nacht nicht unbedingt sicher ist und ich dann Sicherheitskameras bräuchte usw.
Eines Tages saß ich hier in meinem Raum an dem großen Tisch, schaute mich um und plötzlich kam mir in den Sinn: ‘Eigentlich habe ich den perfekten Raum. Alles ist weiß, sehr gutes natürliches Licht, ich habe einige Wände, der Raum ist ruhig und sehr klar. Warum fang ich nicht einfach hier an und probiere aus, ob es mir überhaupt gefällt?’. So hing ich weitere Werke auf und drehte daraufhin meinen ersten Kurzfilm „firstTime”, der eine Auswahl an Arbeiten in diesem Raum zeigt, den ich dann an meine Kontakte, hauptsächlich in Europa, aber auch USA und Brasilien schickte. Das war sozusagen meine Eröffnung. Daraufhin kamen dann auch die ersten Besucher; ein in Italien und Rio lebendes Paar, dann ein früherer Kunde mit seinem Partner, der zwischen New York, Brüssel und Rio pendelt, ein anderer Kunstliebhaber kam aus Paris angereist und machte auf seiner Reise einen Stop bei mir, auch aus der französischen Schweiz, reiste eine Gruppe von Freuden hierher, die mich über ein grosses Wandbild-Relief, dass ich in meinem ersten Jahr hier in Rio für ein Hotel machte, entdeckten und mich für einen Besuch in meinem Schauraum kontaktierten.
2022 habe ich das einfach so ausprobiert und wusste überhaupt nicht, was mich da erwartet und am Ende des Jahres habe ich gestaunt, wie gut es geklappt hat, wie viele Menschen aus unterschiedlichen Orten hier waren, alle sehr inspiriert und beeindruckt. Wiederholt habe ich gehört, dass den Besuchern besonders gefallen hat, dass die Kunstwerke in einem Wohnraum hängen, indem man ein gutes Gefühl bekommt, wie die Werke in einer Wohnung wirken und wie es ist mit den Kunstwerken zu leben und das macht das ganze sehr lebendig. Auch beeindruckte sie es, einen Blick in mein Studio zu werfen, ein kleiner Raum nebenan, und das Umfeld zu spüren, indem ich lebe und arbeite. Dadurch bekommen die Besucher einen sehr intimen und ehrlichen Einblick in mein Werk und was da dahinter steht und mit hinein fließt.
Weshalb haben Sie sich gegen das “klassische Modell” entschieden, ihre Kunst über Galerien anzubieten? Hat das auch Nachteile für Sie?
Immer wenn ich an den Kunstmarkt und dessen Struktur dachte und dass ich mich da rein begeben muss, überkam mich ein dunkles Gefühl von Unmotivation und Schwere. Das irritierte und beschäftigte mich lange. Ich konnte mich da aus irgendeinen Grund einfach nicht klar sehen, eher so ein Gefühl von ‚ich muss das so machen, weil es so gemacht wird‘, beobachtete ich, das mich in der Tiefe jedoch nicht überzeugte.
Ich fragte mich auch immer wieder inwiefern eine Zusammenarbeit und vertragliche Bindung mit einer Galerie für die Entwicklung meiner Arbeiten wirklich gut und sinnvoll wäre, da es auch eine bewusste oder unbewusste Einmischung in meinen freien, unabhängigen Raum bedeuten würde. Das machte mir große Sorge, denn es gibt nichts Wichtigeres für mich, als mir meinen freien und eigenen Raum zu bewahren, indem mein Werk ungestört von fremden Einflüssen, in seinem ganz eigenen Rhythmus und Tempo entstehen kann. Genau das fordert es von mir.
Daneben nahm ich ein leises Stimmchen in mir wahr, dass mir immer wieder sagte, ‘hab doch den Mut einen ganz eigenen Weg zu gehen, den du selbst aus dir heraus erschaffst, den es so vielleicht noch gar nicht gibt’, und dabei spürte ich Aufregung, Motivation, Faszination und Neugier, zusammen mit viel Angst und Unsicherheit, von der ich mich immer wieder lähmen lies, bzw. lasse. Ich war lange hin und her gerissen, von Zweifeln und Fragen überschüttet, unfähig eine Entscheidung zu treffen, aber das Leben forderte eine klare Entscheidung von mir und ich entschied mich ein weiteres mal, trotz Angst und Unsicherheit, meinem inneren Ruf zu folgen, so wie damals nach Rio auszuwandern, und mich auf einen originellen, eigenständigen und direkteren Arbeitsstil zu konzentrieren, in dem ich die Verantwortung nicht an Andere abgebe. Das ist für mich derzeit die Form des Arbeitens, in der ich motiviert bin.
Hat es Nachteile in keiner Galerie vertreten zu sein? Das ist immer eine Frage der Betrachtung. Jeder Nachteil kann auch zu einen Vorteil werden. Ich lerne immer mehr mich bewusst auf das zu konzentrieren, was da ist, und damit baue und erschaffe ich etwas. Das haben mir meine Eltern schon in der Kindheit immer vorgelebt. An manchen Tagen denke ich, in einer Galerie könnte ich von dem schon vorhandenen Kundenstamm profitieren, dann staune ich wieder darüber, wie ich mir mein eigenes Klientel ganz langsam und bewusst aufbaue, indem ich immer kreativ bleibe, mir Neues und Originelles überlege, wie ich an Menschen komme, bzw. wie sie zu mir kommen können, und wie ihr Vertrauen in mich wachsen kann. Mit einer Galerie würde ich mir diese Fähigkeit wohl nicht so dringend aneignen. Eigenständig muss ich mich um vieles kümmern und mich auch mit ganz neuen, manchmal schwierigen Themen beschäftigen, sehr viel Geduld üben und Vertrauen aufbauen. Ich finde das unglaublich bereichernd, es erweitert den Horizont, bringt Frische und Bewusstsein mit hinein, zeigt mir auch ganz klar meine Schattenthemen, mit denen ich mich dann auseinandersetzen muss und all dies wirkt sich sehr positiv auf mein künstlerisches Schaffen aus, weil die innere Klarheit und Kraft stärker und feiner wird.
“In Rio habe ich einen sehr großen, distanzierten Raum ganz für mich, indem ich mich auf meine ganz eigene Art entdecken und entwickeln kann”
Sie schreiben auf Ihrer Website, dass Sie die Betrachter Ihrer Kunst in einen Zustand des Staunens und der Gegenwärtigkeit bringen wollen. Wie versuchen Sie das zu erreichen?
Wenn der Künstler beim Erschaffen absolut präsent und klar ist und sich nicht in den Gedanken verirrt, fließt diese Qualität auch in die Werke und das kann der Betrachter dann spüren, wenn es mit ihm in Resonanz geht. Wenn ich in meinem Studio bin, bin ich in einem Zustand des inneren Friedens, der Gegenwärtigkeit und einer sehr lebendigen, in meiner Tiefe pulsierenden Freude und immer wieder mit einem Staunen für das Wunder der Kunst, wie sie entsteht und wie einfach eine unendlich kreative Kraft durch mich und meine Hände fliesset, die dann formen und machen und plötzlich ist da ein Bild. Ich staune jedes mal von Neuem darüber und frage mich dann beim Betrachten ‚wer hat das gemacht? wie ist das entstanden?’ Das ist das Wunder der Kunst – jenseits der Worte; der Verstand kann es nicht erfassen.
Wenn ich beobachte, wie Menschen meine Arbeiten beobachten, sehe ich oft dieses Staunen in ihrem Ausdruck. Das freut mich immer sehr… wenn die Worte fehlen, dann ist die Gegenwärtigkeit da.
Inwiefern hilft Ihnen Ihr neues Zuhause in Rio die für Ihre Arbeit so wichtige Ruhe, Geduld und innere Achtsamkeit zu entwickeln?
Ich fühle mich in Rio sehr Zuhause und kann mich leicht orientieren, die Sprache und Klänge hier entspannen mich und lassen mich authentisch sein. Das kannte ich so noch aus keinem anderen Ort, in dem ich gelebt habe. Ich komme aus einer großen Künstlerfamilie und kam oft in Vergleiche und Unsicherheiten, die zu innerer Anspannung und Wut führten. Ich konnte mich nicht so frei entfalten, wie ich es hier kann, weil ich mich immer sehr beobachtet gefühlt habe und dadurch gehindert war, ich selbst zu sein. Hier in Rio ist das anders, hier habe ich einen sehr großen, distanzierten Raum ganz für mich, indem ich mich auf meine ganz eigene Art entdecken und entwickeln kann und fühle mich wohl und sicher darin. Das spiegelt sich für mich in meinem Schaffensprozess und in meinen Arbeiten wider.
Häufig kombinieren Sie in Ihren Bildern verschiedene Materialien. Beton, Kupfer, Leder, Metalle. Was begeistert sie daran?
Jedes Material hat eine andere Haptik, stahlt etwas anderes aus, regt etwas anderes an und hat seine ganz eigenen Eigenschaften und Qualitäten. Mich fasziniert besonders das Zusammenbringen unterschiedlicher Materialien, die dann miteinander klingen und wirken, das Kontraste bilden, Harmonien bilden und dadurch die Sinne anregen, besonders das Fühlen. Ich mag auch den handwerklichen Aspekt daran, weil jedes Material eine andere Art fordert, wie ich es behandle und in Form bringe. Beton und Gips giesse ich in die von mir gebauten Formen, oft experimentiere ich mit Pigmenten und poliere die festen Teile anschliessend von Hand. Bei den Metallen benutze ich meine selbst entwickelte Technik, sie zum Teil zu polieren oder zu brennen und andere Teile schleife ich von Hand, als zeichne ich darauf. Und so kommt mir immer wieder Neues in den Sinn, was ich mit den Materialien machen kann, wie ich sie kombiniere und bearbeite. Die Oberfläche der Bilder aus mehreren Materialien wird zu einem feinen Relief, was man vor allem von der Seite gut erkennen kann. Auf mich wirken diese Bilder sehr lebendig, wie stille Wesen mit viel Tiefe und Geheimnisvollem, das in ihnen ruht. Das tragen ja auch die verschiedenen Materialien in sich.
Was sind Ihre nächsten künstlerischen Projekte?
Gerade baue ich ein weiteres Archiv, um neue Arbeiten zu lagern. Sobald das fertig ist und wieder Platz in meinem kleinen Studio ist, widme ich mich neuen Bildern. Es gibt einige Bilder, die im letzten Jahr in mir entstanden sind und in mir reifen und jetzt in Form kommen möchten. Das Großformat liebe ich über alles, aber dieses Jahr möchte ich mich bewusst auf das kleine Format fokussieren und einlassen. Es bleibt spannend.
Miriam Loellmann hat in Berlin Kunst studiert und ist danach nach Rio de Janeiro ausgewandert, wo sie heute lebt und arbeitet.
