Katerina Belkina - Not a Man's world
Die russische Künstlerin Katerina Belkina hat kürzlich den Bildband “Katerina Belkina. My Work Is My Personal Theatre.” veröffentlicht, der fast alle ihrer Kunstwerke umfasst. Mit ihren Bildern will sie das Verhältnis der Geschlechter in unserer Gesellschaft verändern.
In Ihren wunderschönen Bildern sind oft Sie selbst das Motiv und Sie schlüpfen immer wieder in andere Rollen. Welche Rolle gefällt Ihnen dabei am besten und warum?
Es ist immer die aktuelle Rolle, die in Arbeit ist, denn sie ist die neueste und es ist eine schöne Herausforderung, dabei ein höheres Niveau zu erreichen. Ich wachse durch meine Charaktere und versuche, immer offener zu sein, nicht nur ästhetisch interessante Seiten von ihnen zu zeigen, sondern auch den Hintergrund. Ich bin wer ich bin, mein Körper wird älter (Sie kennen diesen Stereotyp über Frauen, die über 40 Jahren alt sind, besonders da, wo ich herkomme), aber ich denke, dass das gut und nützlich für meine Kunst ist! Ich kann endlich auch ernsthafter Rollen einnehmen und mein Körper kann inzwischen doppelt so viel ausdrücken.
“Wir alle wachsen mit Stereotypen über Frauen auf”
Ihr am 15.10. veröffentlichter Bildband trägt den Titel “Katerina Belkina. My Work Is My Personal Theatre.” Was wird den Leser erwarten? Eine bühnenartige Inszenierung eigener Erlebnisse oder doch eher ein “fiktives Theaterstück”?
Dies ist eine Sammlung fast aller meiner Kunstwerke bis zu diesem jetzigen Zeitpunkt, zusammen mit Texten in drei Sprachen. Einerseits erkläre ich meine wichtigsten, konzeptuellen Gedanken, andererseits gibt es ein wunderbares, lebendiges Interview und gut recherchierte Texte von Kunstkritikern über meine Arbeit. All das zusammen zeigt, wie moderne Kunst sein kann und welche verschiedenen Ebenen und Bedeutungen sich im Inneren verbergen. Ich bin meinem Verlag Kocmoc dankbar für diese Möglichkeit und Erfahrung.
Eine Ihrer Bilderserien heißt “Not a Man’s World”. Ist das eine politische Kampfansage mit der Sie Geschlechterungerechtigkeit in Ihrem Land anprangern wollen?
Ja, aber nicht nur in meinem Land – weltweit. Frauen auf der ganzen Welt haben gerade erst begonnen, das Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft zu verändern und sich selbst zu verändern. Aber dieser Prozess gewinnt an Dynamik. Es ist meine älteste Serie (2006 begonnen), aber ich habe in diesem Moment wirklich den Beginn dieser Welle eingefangen. Als Grundlage nahm ich verschiedene bekannte Märchenfiguren mit allen Stereotypen über Frauen, die es gibt – nicht nur russische, auch europäische und welche, die durch Bücher und Zeichentrickfilme (Disney) populär wurden. Wir alle wachsen mit ihnen auf, und auch ich persönlich trage unser gesamtes kulturelles Erbe mit mir herum, aber ich habe das Gefühl, wenn ich es lese oder meinen Kindern zeige, muss ich einige Punkte klarstellen. Dasselbe gilt für den Betrachter.
“Ich versuche das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern behutsam zu verändern”
Sehen Sie sich selbst als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für Ihre Kunst?
Ja, natürlich! Ich bin ein Mensch, der bis in die tiefste Pore friedlich ist und der glaubt, dass wir durch Lernen und künstlerischen Informationsaustausch das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern behutsam verändern können. Genauso verhalte ich mich in meinen Kunstwerken. Ich gebe dem Betrachter ein Bild, das einen Code darüber enthält, welche Art von Privatleben oder sozialen Problemen, Emotionen und Ängsten wir alle haben. All diese Dinge sind nicht an der Oberfläche, aber ich hoffe, dass die Bilder den Betrachter zum Nachdenken und zu wichtigen Überlegungen anregen. Ich bin kein Freund des Ermutigens und Moralisierens. Ich versuche immer, den Fokus vom Geschlecht der Figuren zu nehmen. Es ist nur eine Frau mit all diesen Gefühlen, aber im Grunde könnte es jeder sein. Ich denke, die Hauptbotschaft meiner Kunst ist – “lauf nicht vor dir selbst weg, sei stolz auf dein Sein, feiere es, aber nicht auf Kosten anderer”.
Beim Betrachten Ihrer Bilder ist nie ganz klar, welches Medium man gerade vor sich hat – eine Fotografie oder ein Gemälde? Wie erzeugen Sie diesen Effekt?
Normalerweise gehe ich in zwei Schritten vor: Fotografieren und Zeichnen. Nach dem ersten Schritt habe ich eine Pause, um das richtige Fotomaterial auszuwählen und darüber nachzudenken, was für diese Arbeit besser ist und wie ich vorgehen kann. Das Zeichnen dauert normalerweise 3-4 Wochen. In diesem Fall bin ich also kein großer Fan von Geschwindigkeit. Die Arbeit nimmt so viel Zeit in Anspruch, wie sie braucht. Natürlich will ich jedes kleine Detail perfekt machen. Wenn ich “Zeichnen” sage, meine ich alles, was ich tue: Zuerst kombinieren, einige Details hinzufügen, retuschieren und erst dann digital malen. Ich benutze halbtransparente Pinsel in Photoshop, die ich selbst arrangiere und mit denen ich mit derselben Technik arbeite wie mit Ölgemälden – ich lege einige Striche Schicht für Schicht auf und forme damit die Schatten, Lichter, Glanzlichter, aber versuche, das grundlegende Bild beizubehalten.
“Wir können stark und aktiv in unserem Tun sein, statt passiv, abwartend und ängstlich”
War Ihnen schon immer klar, dass Sie einmal Künstlerin werden wollen?
Vom ersten Atemzug an – ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Im weitesten Sinne wurde ich bereits als Künstlerin geboren, und natürlich hat mir die Mentalität meiner Eltern sehr geholfen.
Wann und wo können wir Ihre Bilder als nächstes in einer Ausstellung in Deutschland sehen? Oder hat Ihnen da Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht?
Das ist gerade ein schwieriges Thema für alle Freelancer und besonders für Künstler. Die Galerien sind alle geschlossen oder verzichten auf Eröffnungsevents, dadurch gibt es kaum Verkäufe. Alle unsere Pläne sind zusammengebrochen, und jetzt ist klar, dass wir nichts mehr planen können. Ich meine, man kann planen, aber es wird zu 99% anders kommen. Ich glaube, dass wir diese Pandemie eines Tages lösen werden. Aber jetzt ziehe ich es vor, nicht gelähmt zu sein – ich bin im Internet aktiv und schließe das Kunstschaffen nicht aus. Das letzte halbe Jahr hat uns dazu gedrängt, schneller in die Online-Welt zu springen. Ich blogge auf verschiedenen Social.Media Plattformen über mein tägliches kreatives Leben. Ich mache einige 5-minütige Videos, wie ich Tag für Tag mein neuestes Projekt voranbringe und teile es auf Instagram und auf Youtube. Das ist meine Art, als Künstler die Stellung zu halten, das Interesse des Publikums an meiner Kunst zu erhalten und anderen KünstlernInnen zu zeigen – wir können stark und aktiv in unserem Tun sein, statt passiv, abwartend und ängstlich.
Katerina Belkina (geb. 1974) macht 1993 in Samara (Russland) ihr Diplom an der Akademie der Künste “Petrov-Vodkin”. Von 2000 bis 2002 folgt eine Ausbildung in Fotografie an der Fotoschule von Michael Musorin. Katerina Belkina wurde mit einigen renommierten Preisen ausgezeichnet, wie dem Kandinsky Preis 2007, dem Internationalen Lucas Cranach Preis 2015 und dem Hasselblad Masters Award 2016. Sie lebt und arbeitet in Werder (Havel), in der Nähe von Berlin.
Web: https://www.belkina.art/de/
Instagram: https://www.instagram.com/thebelki/
YouTube: https://www.youtube.com/channel/UCoGXnbmLjjSfz44QNPurToQ