Imke Kreiser - Kunst schafft ihre eigene Realität
Imke Kreiser hat die neurobiologischen Grundlagen ästhetischer Wahrnehmung erforscht. Inwiefern diese Erkenntnisse Ihre Kunst beinflussen und warum Ihre Werke oft mit einer konkreten Problemstellung beginnen, erzählt sie im Interview.
Auf Ihrer Webseite findet sich ein Zitat von José Ortega Y Gasset: “Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.” Was bedeutet das für Ihre Kunst?
Das Bild der Insel beschreibt anschaulich das Verhältnis von Realität und Kunst. Auch wenn das Kunstwerk augenscheinlich keinerlei Verweise auf die Wirklichkeit enthält, gibt es in der Regel einen mehr oder weniger direkten Bezug zu aktuellen Aspekten der Realität, die mich umgibt. Das Kunstwerk selbst schafft seine eigene Realität, die wie eine Insel zwar von der Wirklichkeit umgeben ist, aber nicht Teil von ihr.
“Die Gleichsetzung von Ästhetik mit Schönheit ist eine Erfindung der Neuzeit”
Sie haben im Jahr 2002 über “Ästhetik” promoviert und die neurobiologischen Grundlagen ästhetischer Wahrnehmung untersucht. Was macht ein Kunstwerk für das menschliche Gehirn ästhetisch?
Um die Frage zu beantworten, muss ich zunächst den Begriff ästhetisch erläutern: In der Philosophie heißt ästhetisch nichts anderes als durch die Sinne wahrgenommen. Insofern ist jedes durch einen der Sinne vermittelte Kunstwerk per Definition ästhetisch. Die Gleichsetzung von Ästhetik mit Schönheit ist hingegen eine Erfindung der Neuzeit. Wenn die Frage auf diesen neuzeitlichen Begriff abzielt, müsste ich sie zu was macht ein Kunstwerk für das Gehirn schön umformulieren.
Das Gehirn folgt dem Prinzip von Ähnlichkeit und Abweichung und stellt einen höchst individuellen Katalog von Vergleichsobjekten bereit und auch die Bereitschaft und Flexibilität seinen Assoziationen zu folgen ist individuell sehr verschieden, abhängig von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, Bildung und persönlicher biographischer Prägung. Schönheit kann dabei sowohl in der Ähnlichkeit zu Bekanntem wie in der Abweichung davon liegen. Die Qualität und Komplexität der jeweiligen Assoziationen entscheidet über das ästhetische Erlebnis des Betrachters. In der Wissenschaftsgeschichte nach dem 19. Jahrhundert wird der Begriff der Ästhetik erweitert und meint die gesamte Palette von Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie Menschen wahrgenommene Objekte bewerten.
Inwiefern beeinflussen die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung Ihre Kunst?
Das zentrale Thema der Semiotik ist die Relation zwischen Zeichen und Bedeutung. Ich interessiere mich in meinen Arbeiten dafür, wie Bedeutung entsteht. Welchen Informationsgehalt hat ein Objekt in unterschiedlichen Kontexten und wie lässt es sich mit Bedeutung aufladen? Das Kunstwerk ist in diesem Kontext ein extrem komplexes Zeichen und die Beschäftigung mit Kunst ist ein individueller Versuch, dieses Zeichen zu lesen und in Beziehung zu setzen mit dem gesamten Erfahrungsarsenal, das einer Person zur Verfügung steht. Das gilt für den Künstler, der ein Werk schafft, aber auch für den Betrachter, der sich mit dem Kunstwerk auseinandersetzt.
” Kunst ist für mich ein Medium, um Fragen aufzuwerfen und ergebnisoffen zu bearbeiten”
Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass Sie häufig Ihre Arbeit mit einer formalen oder inhaltlichen Fragestellung beginnen. Muss ein Kunstwerk für Sie eine Botschaft besitzen, also eine Antwort auf diese Fragestellung liefern oder zumindest den Versuch einer Antwort beinhalten?
Sehr oft beginnt eine neue Arbeit tatsächlich mit einer mehr oder weniger konkreten Problemstellung. Kunst ist für mich ein Medium, um Fragen aufzuwerfen und ergebnisoffen zu bearbeiten. Nur in seltenen Fällen entstehen dabei tatsächlich dauerhafte Antworten, aber das ist auch nicht das primäre Ziel. Die Aufgabe, Antworten zu finden, fällt gleichermassen dem Betrachter zu. Ich sehe mich als Künstlerin nicht in der Position, allgemein gültige Antworten oder gar Botschaften zu kommunizieren. Ich lasse lediglich Betrachter an meiner Arbeit an bestimmten Fragen teilhaben.
Sie haben Linguistik studiert. Wie wichtig ist es für eine KünstlerIn ihr Werk auch erklären zu können?
Ich denke, ein Kunstwerk sollte auch ohne Erläuterungen des Künstlers oder von anderer Seite einen Sinn ergeben. Trotzdem ist man natürlich im Vorteil, wenn man als KünstlerIn in der Lage ist, seine Arbeiten oder besser seine Arbeitsweise und thematische Schwerpunkte zu erklären. Ich würde aber auf keinen Fall wollen, dass meine Erläuterungen dazu führen, dass der Assoziationsraum der Betrachter sich im Sinne meiner Vorgaben verengt. Letztlich bedeutet ein Kunstwerk ohne die Wahrnehmung und Denkarbeit des Betrachters gar nichts.
Sie haben als Künstlerin bereits mit den Medien Malerei, Fotografie, Druckgrafik und Künstlerbuch gearbeitet. Welches Medium fasziniert sie gerade am meisten und weshalb?
Tatsächlich arbeite ich simultan mit allen Medien und benutze sie für unterschiedliche Problemstellungen:
Auf der Suche nach Mustern arbeite ich mit Drucktechniken, um das Zusammenspiel von einzelnen Elementen und Materialien zu untersuchen. Bei der Herauslösung von Details aus gewohnten Kontexten ist die Digitalfotografie der menschlichen Wahrnehmung überlegen . Das Künstlerbuch ist das komplexeste und am besten für konzeptuelle Arbeiten geeignete Medium, da es erlaubt, Bedeutung auf verschiedenen Ebenen simultan zu kodieren. Die Objekthaftigkeit des Künstlerbuchs lässt vielfältige Präsentationsformen zu und vermittelt dem Betrachter durch das Berühren des Kunstwerks einen unmittelbareren und freieren Zugang zu Materialien und Lesewegen als traditionelle Medien wie etwa Malerei oder Grafik.
Wo und wann sind Ihre Bilder als nächstes zu sehen?
Derzeit sind einige meiner Siebdrucke sowie Arbeiten auf Holz und Leinwand in der Hofgalerie in Friedeburg zu sehen.
Imke Kreiser lebt und arbeite derzeit in Ostfriesland zwischen Aurich und Leer.
Web: http://ikreiser.de/
Instagram: https://www.instagram.com/imkekreiser/
Beeindruckende Künstlerin! Am besten gefällt mir diese Antwort: “Ich sehe mich als Künstlerin nicht in der Position, allgemein gültige Antworten oder gar Botschaften zu kommunizieren. Ich lasse lediglich Betrachter an meiner Arbeit an bestimmten Fragen teilhaben.”