Harald J. Braun - Jede Knolle erzählt mir etwas
Harald J. Braun macht organische Skulpturen aus Kartoffeln. Was ihn an der Frucht so fasziniert und mit welchen Methoden er seine Kunst konservieren kann, erzählt er im Interview.
Herr Braun, Sie machen Skulpturen aus Kartoffeln. Können Sie uns erzählen, warum Sie so gerne mit Kartoffeln arbeiten? Was fasziniert Sie daran?
Ja, die Kartoffel ist für mich eine faszinierende Frucht. Sie hat eine eigentümlich unregelmäßige inspirierende Form. Diese feste aber doch wässrige Substanz unter der dünnen Schale und die Besonderheit, dass sie schnell bearbeitet werden muss, sonst wird sie weich. Das Schöne an ihr ist, das jede Knolle die ich zum schnitzen in der Hand halte, auf die ich mich einlasse, mir schon etwas erzählt. So kann ich ganz intuitiv und zügig das heraus arbeiten was für mich in ihr inne liegt. Es ist definitiv mein Material, um spontan kreativ zu sein.
Was benötigt man für Werkzeuge, um beispielsweise ein Gesicht aus einer Kartoffel zu schnitzen. Wie gehen Sie dabei vor?
Die Werkzeuge sind immer gleich, ob Kopf oder Körper. Ich benutze ein sehr scharfes und spitz zulaufendes dünnes Schnitzmesser, verschiedene Schlingen für die Tonbearbeitung, Kammwerkzeuge, kleine Profileisen und ganz wichtig Fingernägel. Ich habe aber auch schon Köpfe gehämmert.
“All meine organischen Skulpturen sind Unikate, einmalig und nicht reproduzierbar.”
Was gibt es für Möglichkeiten, um Ihre Skulpturen haltbar zu machen?
Alles trocknet, so auch die Kartoffel. Dies ist meine Basic Methode und dazu benötigt es nur Luft. Bereits die Incas konservierten auf diese Art und Weise Kartoffeln. So genannte Chuños, die auch noch heute als Lebensmittel gehandelt werden und ziemlich unbegrenzt haltbar sind. Man hat hiervon schon 4000 Jahre alte Exemplare gefunden. Ich spreche aber bewusst nicht von haltbar machen, was ein Trugschluss ist, da sich alles in diesem Kosmos in einem Prozess der steten Veränderung befindet. Was meine luftgetrockneten Kartoffelskulpturen betrifft, wage ich zu behaupten, dass diese uns überdauern, sofern sie nicht von Schädlingen befallen werden.
Jetzt zur Gestaltung: Also ich schnitze – immer gleich. Danach überlasse ich meine Skulpturen verschiedenen natürlichen Prozessen unter Zuhilfenahme von Luft, Hitze, Kälte, Salz. Bei meinen `Agglomeren Skulpturen´ wandle ich z.B. den Aggregatzustand oder ich konserviere die Skulptur in dem ich Sie einwecke, das nenne ich `ASS.EX.´ – asservierte Exponate.
Diese Methoden nenne ich wie folgt:
Natural – das ist die Lufttrocknung
Kristallin – hier kommt Salz zur Luft bzw. Hitze hinzu
Frigomer – hier arbeite ich mit Gefriertrocknung
Agglomer (Kartoffel / Bronze)
Last but not least transformiere ich organische Materie nach dem Prinzip der verlorenen Form, in Bronze. Hier stoppe ich bewusst den organischen Prozess der Veränderung und manifestiere die Form, Gestalt, Befindlichkeit meiner Skulptur ins Anorganische. Mit dem Ausbrennen der Kartoffel aus der Form, dem darauf folgenden Eingießen der Bronze und dem Erstarren des Metalls, entstehen Unikate, originäre Skulpturen mit einer von organischen Rückständen behafteten Oberfläche. Dies verstehe ich als Analogie auf Natur, diese transformiert unentwegt, meist unmerklich organische Materie in veränderte Befindlichkeit.
ASS.EX. (asservierte Exponate)
Hier wecke ich die Skulptur ein, konserviere sie in einem Einmachglas, um sie dauerhaft zu fixieren. Das Ganze aber ohne Chemie, so etwa wie bei Muttern. Diese Arbeiten sehe ich jedoch konträr zu meinen naturbezogenen Methoden der Gestaltung – Natural, Kristallin, Frigomer, Agglomer. Diese konservierten Exponaten zeigen Stillstand, ja gar Leblosigkeit auf, hier findet kein erkennbarer und natürlich sichtbarer Veränderungsprozess mehr statt, keine Wandlung. Hier steuert der Mensch, indem er versucht etwas dauerhaft dingfest zu machen. All meine organischen Skulpturen sind Unikate, einmalig und nicht reproduzierbar.
“Kein Gemüse ist so geeignet und universell wie die Kartoffel”
Die meisten Kartoffeln sind nicht besonders groß. Wie gehen Sie vor, wenn Sie größere Skulpturen anfertigen wollen?
Es gibt auch große Kartoffeln, meine Skulpturen sind immer aus einer Knolle, einem Stück gefertigt.
Sie hatten bis vor etwa zehn Jahren einen Obst und Gemüse Stand am Viktualienmarkt in München. Sind Sie auch so auf die Idee mit den Kartoffel-Skulpturen gekommen? Haben Sie auch mit anderem Gemüse experimentiert, um daraus Kunstwerke zu machen?
Ja, die Idee dazu ist wirklich während der Arbeit entstanden und resultierte aus einer ironischen Einlage meines Kompagnons der Scherzes halber eine Kartoffel schnitzte, die wir dann beobachteten. Davon war ich dermaßen in den Bann gezogen, dass ich darauf hin jahrelang ausschließlich mit Kartoffeln experimentierte und arbeitete. Zu ihrer Frage bezüglich anderer Gemüse. Ja, ich habe auch einige Skulpturen in Sellerie, Kohlrabi, Steckrüben geschnitzt. Das war teils ganz ok, aber letztlich nicht so geeignet und universell wie die Kartoffel.
Neben Ihren Kartoffel-Skulpturen, beschäftigen Sie sich als Fotograf mit Fotokunst. An was arbeiten Sie dabei aktuell und was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Die Kartoffelkunst, bzw. das Arbeiten mit organischen Skulpturen, wie ich meine Arbeit mit den Kartoffeln nenne, ruht zur Zeit. Aktuell bin ich nur fotografisch aktiv, sowohl künstlerisch als auch gewerblich. Thematisch habe ich hier auch eine Serie mit Obst und Gemüse abgelichtet die sich `Fruit Art Collection´ nennt. Bilder hierzu und weiteren Arbeiten finden sich auf meiner Instagram Seite, Harald J. Braun – ART WORKS. Welche Projekte ich nun zukünftig machen werde, wissen aber nur die Sterne.
Die Organische Skulptur
Leben ist Veränderung. lst Vergänglichkeit. lst Lebendigkeit.
Jeder und alles wandelt sich ständig und immer während, doch diese alltägliche Wandlung vollzieht sich meist im Schatten unserer Aufmerksamkeit – also unbemerkt.
Harald J. Braun versucht mit seinen organischen Arbeiten eine Konfrontation mit der zwangsläufigen Veränderung herzustellen und dem Betrachter Vergänglichkeit – sprich: Lebendigkeit bewusst zu machen, da deren Metamorphose viel rascher und unmittelbarer abläuft.
Die Exponate erzählen ihre einmalige Geschichte, autark, in den Prozess des Lebens gebettet, unaufhaltsam und doch nicht verloren, doch nicht sinnlos.
Außerhalb dieses Prozesses, der in Raum und Zeit nicht zu bändigen ist und sich auch im Unermesslichen / Unerklärbaren vollzieht – dort, wo einst alles Leben entstand – steht der Betrachter. Als Zeuge, stiller Beobachter eines Ur-Vorgangs, Entdecker einer Analogie, dessen Axiom auch er – wie alles Lebende – in sich trägt.Text: Vartan Tekneyan
Harald J. Braun arbeitet aktuell als Fachlehrer und als freier Architekturfotograf. Bis vor etwa zehn Jahren hatte er einen Obst und Gemüse Stand am Viktualienmarkt in München.
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