Fotokampagne „Kunst(ver)lust?“: Wider den Kulturabbau!
Florian Wetzel und Simon Höfele stellen Menschen aller Generationen für den Erhalt von Kunst und Kultur vor die Kamera. Im Interview erklären Sie warum.
Mit Ihrer Fotokampagne „Kunst(ver)lust?“ wollen Sie auf den Kunst- und Kulturabbau aufmerksam machen. Gibt es denn wirklich einen Kunstverlust in Deutschland?
Florian Wetzel: Ja, das steht außer Frage. Deutschland galt und gilt auch heute noch als eines der führenden Kulturländer weltweit. Allerdings kann man sich mittlerweile kaum noch des Eindrucks erwehren, dass dieser Status immer mehr verloren geht. Das liegt daran, dass der Wert von Kunst und Kultur hierzulande oftmals nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wird. Somit werden künstlerisch-kulturelle Institutionen nach ihren Kosten und nicht nach ihren Inhalten beurteilt.
Und dagegen wollen Sie beide nun aktiv werden. Aber wie sind Sie auf die Idee gekommen eine Fotokampagne zu machen?
Simon Höfele: Das kam mir zufällig, als ich im Internet ein Projekt gegen Homophobie sah. Es gibt viele Fotokampagnen, die bestimmte politische Ziele verfolgen. Allerdings beim Thema Kunst und Kultur nicht. Deshalb sprach ich Florian an, weil ich wusste, dass er zum einen leidenschaftlich gerne fotografiert, sich aber zum anderen auch in dieser Thematik ziemlich gut auskennt und bereits stark engagiert hat. Denn er hat im Jahre 2012 gemeinsam mit zwei Kommilitoninnen das Solidaritätsorchester gegen die Fusionierung und für den Erhalt der beiden SWR Sinfonieorchester auf die Beine gestellt.
Wo macht sich der Kunstverlust, den Sie bemängeln besonders bemerkbar?
Simon Höfele: Das Thema ist äußerst komplex und umfassend. Um einen gewissen Überblick zu bekommen, hat der deutsche Kulturrat eine „Rote Liste Kultur“ erstellt, die auf gefährdete Kulturinstitutionen hinweist. Darin sind Theater, Orchester, Kunst- und Musikhochschulen, Bibliotheken, Museen, Galerien, Ausstellungen und vieles mehr zu finden. Auch wenn die meisten Leute den Kunstverlust nicht direkt wahrnehmen, gibt es ohne Frage einen Prozess des allmählichen, aber trotzdem schwerwiegenden Kulturabbaus.
Florian Wetzel: Der Kunstverlust beginnt schon in den Grund- und weiterführenden Schulen. Ich bin der Meinung, dass die Begeisterung für bestimmte Dinge bereits im Kindergarten und spätestens in den Grundschulen bei den Kindern gelegt wird. Die dort arbeitenden Lehrer leisten großartige Arbeit, jedoch müssen sie oft – vor allem das Fach Musik – fachfremd unterrichten. Das hat leider häufig zur Folge, dass die natürliche Begeisterung für Kunst und Musik in der Kindheit nicht rechtzeitig geweckt und gefördert wird und somit später in der Pubertät vollkommen verloren gehen kann. Darüber hinaus werden die Fächer Kunst und Musik in weiterführenden Schulen relativ wenig und in manchen Klassenstufen gar nicht mehr angeboten. Schulfächer wie Kunst, Musik und beispielsweise auch Sport sind in der heutigen Zeit ungemein wichtig und sollten nicht in den Freizeitbereich ausgelagert werden, da die Kinder und Jugendlichen durch Nachmittagsunterrichte und die gestiegenen Anforderungen des achtjährigen Gymnasiums kaum noch Zeit für sich und ihre Entwicklung finden.
Halten Sie diese Entwicklung für gefährlich?
Florian Wetzel: „Gefährlich“ ist ein nicht ganz zutreffendes Wort. Ich glaube nicht, dass die deutsche Kunst- und Kulturlandschaft in ihrer Gesamtheit existenziell gefährdet ist. Aber ich bin der Überzeugung, dass sich die in den letzten Jahren abzeichnende Entwicklung des kulturellen Abbaus irgendwann gravierend in Politik und Gesellschaft niederschlagen wird. Kunst und Kultur lassen sich nicht so einfach nachträglich wiederherstellen. Die Fusion der beiden SWR-Sinfonieorchester in Baden-Baden/Freiburg und Stuttgart beispielsweise, die beide hohes internationales Ansehen genießen, sich aber in ihrem Klang und Profil immens unterscheiden, lässt zwei bedeutende Klangkörper „sang- und klanglos“ vom Erdboden verschwinden. Ein daraus neu zusammengelegtes Orchester kann, auch bei bester Arbeit und großem Bemühen, keineswegs das erzielen oder gar ersetzen, was zuvor über Jahrzehnte hinweg geschaffen wurde.
Simon Höfele, Sie studieren Trompete. Wie dramatisch ist die Situation für junge Musiker denn jetzt schon?
Simon Höfele: Die Suche nach einer Stelle in einem Orchester ist besonders schwer. Glücklicherweise werden zwar viele Musikstudenten ausgebildet, aber gleichzeitig Orchester geschlossen oder mit drastischen Sparmaßnahmen belegt. Viele Studenten werden erst gar nicht zu Probespielen eingeladen, weil es wirklich nur für die allerbesten eine Chance gibt. Das hat zur Folge, dass einige erst gar nicht anfangen wollen mit dem Musikstudium und ihren Traum aufgeben müssen, weil Kunst und Kultur einfach nicht genug wertgeschätzt werden und die Chancen verschwindend gering sind, einen Job in einem Orchester zu bekommen.
Gibt es da konkrete Zahlen?
Simon Höfele: Es gab beispielsweise 1992 noch 168 Profiorchester in Deutschland. Mittlerweile sind es nur noch 131. Über 20% weniger! Wenn das so weitergeht wird es in wenigen Jahrzehnten kein „Kulturland Deutschland“ mehr geben, zumindest nicht so, wie wir es kennen. Bleibt nur die Frage, was diejenigen Musiker machen, die keine Orchesterstelle bekommen. Sie sind dennoch sehr gut ausgebildete und leidenschaftliche Musiker und arbeiten deshalb mit Ensembles, als freischaffende Musiker oder gehen an eine Musikschule und unterrichten. Leider sind gerade an Musikschulen die Arbeitsbedingungen, die junge Musikschullehrer erwartet, wirklich nicht berauschend. Nach einer Umfrage der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft ver.di aus dem Jahre 2012 bekommt ein freier Mitarbeiter – das betrifft mittlerweile fast 60% aller Musikschullehrer – pro Monat nur noch etwas mehr als 1000€ brutto.
Florian Wetzel, Sie haben gerade Ihren Abschluss als Schulmusikstudent gemacht. Inwiefern bekommen Sie gerade persönlich zu spüren, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur in Deutschland gesunken ist?
Florian Wetzel: Die Situation für junge Lehrer ist mal besser, mal schlechter. Das hängt von den Jahrgängen sowie den Fächern ab, die gerade gefragt sind. Zuletzt hat mir ein früherer Kommilitone berichtet, dass derzeit etwa 25-30 % der Referendare in Baden-Württemberg direkt eine Stelle bekommen. Die anderen müssen auf die nächste Chance warten oder sich in einem anderen Bundesland bewerben. Prinzipiell ist der Beruf des Musiklehrers, vor allem im Vergleich zu anderen Berufen im Bereich von Kunst und Kultur, jedoch ein relativ sicherer Job. Trotzdem besteht natürlich die Gefahr, dass durch die Ausgliederung künstlerischer Fächer in den außerschulischen Bereich immer weniger Lehrer für diese Lehrämter gebraucht werden.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Kampagne? Haben Sie Hoffnung, dass sich etwas ändert?
Florian Wetzel: Wie weit es die Kampagne „Kunst(ver)lust?“ wirklich schafft, das können wir jetzt noch nicht sagen. Dennoch hoffen wir darauf, dass wir durch diese Kampagne viele Menschen erreichen und sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft ein Umdenken oder Nachdenken erzielen. Wir hoffen auf Transparenz und offene Gespräche zwischen Künstlern, Kunstvertretern, der Gesellschaft und der Politik, wie es derzeit beispielsweise auch zwischen der baden-württembergischen Landesregierung und den fünf Musikhochschulen passiert.
Simon Höfele: Unser finales Ziel ist letztlich eine Ausstellung, bei der wir alle Portraits unserer Kampagne „Kunst(ver)lust?“ präsentieren. Wir streben grob eine Anzahl von etwa 1500 Fotos an. Die Zahl von 1500 Leuten wirkt relativ gering im Vergleich zu großen Online-Petitionen oder großräumig gesammelten Unterschriftenlisten. Aber der Aufwand, so viele Fotos zu machen, ist natürlich immens. Dabei stehen all diese Menschen aus dem gesamten Bereich der Kunst stellvertretend für sämtliche Künstler und Kunstliebhaber – und diese Unterstützung ist riesig! Bis wir 1500 Personen fotografiert haben ist es natürlich noch ein weiter Weg, aber die ersten 200 sind schon mal im Kasten. Wenn es so weiterläuft und wir weiterhin so viel positive Resonanz erfahren, werden wir diese Anzahl an Bildern auch erreichen können. Unser Ziel ist es dabei, der Gesellschaft und der Politik zu zeigen, was hinter dem Kulturabbau wirklich steckt, was dadurch passiert und vor allem, wen dies betrifft. Anders als bei einer Online-Petition oder einer Unterschriftenliste sieht man hier wirklich die Menschen, die für den Erhalt von Kunst und Kultur stehen und das eben vor der Kamera.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit Ihrer Fotokampagne!