Christian Haag – “Weil der Mensch nur sucht”
Der Münchner Künstler Christian Haag spricht im Interview über seine Bilderserie “Suchende” und seine Art zu malen.
Herr Haag, in Ihrer Bilderserie “Suchende” taucht immer wieder die gleiche Figur auf. Da stellt sich natürlich die Frage: Wer ist das?
Es ist eine Figur von Eadweard Muybridge, einem britischen Fotografen und einem Pionier der Fototechnik. Er war einer der frühen Vertreter der Chronophotografie. Dabei geht es um die Dokumentation von Bewegungsabläufen. Der Anfang vom Kino. Der Mann ist nackt und einsam und bewegt sich ziellos. Alles wirkt sehr kühl und wissenschaftlich. Bei mir wird er kopiert und mehrmals ausgedruckt. Sehr klein, mittelgroß, groß und sehr groß.
Welche Bedeutung hat diese Figur für Sie?
Die Figur ist aus dem Rahmen genommen. Wand weg, Treppe weg, Messungen weg und steht völlig planlos da. Für mich ist der Mann eine Art Urmensch. Er macht einen Schritt nach vorne, will etwas, sucht etwas, strebt nach irgendwas, sucht Halt, einen Weg. Der erste Schritt der Menschheit? Er ist immer in Bewegung, aber wozu? Warum? Das wird nie klar. Er ist ein Maßstab für seine Umwelt und die Malerei. Die Malerei ist zuerst abstrakt, die Figur wird eingefügt und durch ihre Anwesenheit ändert sich das Bild. Oder etwa nicht? Der Mann geht nach vorne. In Richtung Zukunft, Ungewissheit, Änderungen, Tod, Leben, Überraschungen und so weiter. Er ist nackt wie eine Adamsfigur, schutzlos, verloren, verwundbar und gleichzeitig stark und entschlossen, aber auch zwiespältig.
Durch die Gestalt des laufenden Mannes wachsen aus Ihren abstrakten Gemälden Landschaften und Städte. Im ersten Bild der Serie “Recherche sur fond bleu” wandert die Figur durch ein indifferentes Blau, im nächsten Bild “Autre temps, autre lieu” glaubt man eine Pyramide zu erkennen und in “La marche 2” ein Hochhaus. Wollten Sie in der Serie “Suchende” auch ein Stück Menschheitsgeschichte abbilden?
Jede Figur schleppt einiges mit sich herum. Eine gewisse Geschichte, die Urgeschichte, Erfahrungen, Misserfolge, Zweifel. Diese männliche Figur ist ein Abbild von uns allen. Männer wie Frauen. Menschen, die nach etwas suchen oder versuchen etwas zu finden. Einen Sinn, eine Antwort oder die einfach nur Fragen stellen. Unsere Welt ist hochentwickelt und trotzdem sind die Grundfragen des Lebens unvermeidbar und wichtig. Die Pyramide oder die Architektur sind zuerst Räume für Macht, Erdrückung, Dominanz, wo der Mensch sich schwer tut sein Platz zu finden. Die Figur ist gleichzeitig irgendwie ein Abbild von mir und deswegen ändern sich die Bilder, die Szenen, aber die Grundfragen bleiben. Weil der Mensch nur sucht. Nach Glück, Erfolg, Schönheit, Natur…
Warum ist der Mann immer alleine?
Weil er dem Tod alleine gegenübersteht. Sein ganzes Leben sieht er, empfindet, träumt, liebt er. Entwickelt sich, ändert sich, macht Erfahrungen, ist kreativ, kann sich begeistern, aber am Schluss ist es Schluss. Und was bleibt dann übrig? Bei mir sind es die Bildern, die immer eine Geschichte erzählen. Ob ich das nun will oder nicht.
Müssen gute Bilder für Sie eine tiefere Bedeutung besitzen oder können sie auch einfach nur ästhetisch sein? Und wie ist das bei Ihren Bildern?
Die Bedeutung ist nicht wichtig! Die Gemälde müssen leben und sind ein Sehprozess. Manche können damit was anfangen, andere nicht. Der Bildaufbau, der Raum, die Dynamik, die Farben, die Struktur bilden das Bild und die Zusammenstellung der Elemente kommuniziert etwas, aber was genau ist schwer zu beschreiben. Ein Gemälde ist nur ein Weg und ein gutes Bild ist für mich ein Bild, in dem immer Neues entdecken kann. Die Spannung zwischen Betrachter und Bild macht Sinn!
Hatten Sie zu der Serie vorher schon ein genaues Konzept im Kopf oder ist die Komposition während der Herstellung einfach entstanden?
Ich will nie im Voraus wissen was kommen wird. Ich fange irgendwo an und jeden Tag geschieht was Neues und das Bild nimmt langsam Gestalt an. Die Spannung nicht zu wissen wohin es führt. Das Rätsel.
Manche der Bilder sind auf Karton gemalt, andere auf Holz oder Leinwand. Welche Rolle spielen für Sie der Untergrund der Bilder in dieser Serie und haben Sie sich auf bestimmte Farben und Materialen begrenzt?
Karton ist etwas Geniales. Er lässt sich schnell umändern, schneiden, kleben, mit Schichten arbeiten. Dadurch kann man das Bild immer wieder ändern. Alles ist eine Bühne. Jeder trägt einen Raum mit und der Maler versucht seinen Raum zu zeigen. Deswegen gibt es immer mehrere Fassungen. Die Serie ermöglicht Schritt für Schritt jedes Bild leicht zu korrigieren. Nebeneinander wirken die Bilder noch stärker weil man versteht wie alles entsteht und der Blick wandert von einer Etappe zur anderen. Ein Sehprozess, wie schon erwähnt. Versuchen und versuchen weiter zu kommen. Wozu, warum kann ich nicht sagen. Deswegen muss ich weiter malen und gestalten.
Vielen Dank für das schöne Interview!
Das Gespräch führte Julius Braun
Kunsthistorisch und malerisch betrachtet ist dieser Künstler auf der eloquenten Suche nach der perfekten Figur für seine abstrakten Kompositionen. Ein sehr guter Künstler im Spannungsfeld zwischen der Malerei und dem fast schon bühnenbildartigen räumlichen Kunstwerks. Diana Achtzig